Zerbrechliche Entschlossenheit

Die Frage, wohin es uns führen würde, war eine Frage, die er sich wohl nie gestellt hatte. Solange ich neben ihm war, blieb sein Blick entschlossen. Häufig erwischte ich mich, dass ich ihn von der Seite betrachtete. Sein Profil verriet seine Entschlossenheit: Die klare Linienführung der Nase, die starken Brauen sowie seine ausgemergelt erscheinenden Wangen behaupteten, dass es immer weitergehen würde.

Nur seine Stimme. In seiner Stimme lag eine Zerbrechlichkeit, die so anrührend war, dass ich ihn am liebsten jedes Mal in den Arm genommen hätte, wenn er sprach.

„Weiter,“ atmete er, „immer weiter. Wir sind bald da.“

So war er. So war ich.

Die Innovationsstrategie

Es waren hitzige Wochen und Monate gewesen. Wir alle blickten mit einem deutlichen Schrecken und einem Schaudern auf die zurückliegende Zeit.

Umso stärker war die Erleichterung, die wir alle spürten, als wir uns schließlich geeinigt hatten.

Die beschlossene Innovationsstrategie senkte sich wie ein neuer Westfälischer Frieden über unsere Häupter und ließ uns demütig werden. „Welch eine Leistung!“, rief das anerkennende Nicken, das sich nun selbst diejenigen spendeten, die noch Stunden zuvor in verfeindeten Lagern gestanden hatten, um sich – martialisch ausgedrückt – bis aufs Blut zu bekämpfen.

Hände wurden geschüttelt, Komplimente ausgesprochen, Bünde neuerlich besiegelt.

Wir waren einmal mehr errettet.

Beim Dragerbutt im Ömnefaz

Auf meine Frage hin, was er all die Jahre da draußen denn getrieben habe, antwortete der Fremde, der sich selbst als „ein Waldläufer“ vorgestellt hatte, er sei beim Dragerbutt im Ömnefaz gewesen.

Sämtliche Versuche, näher zu ergründen, wo das denn bitte gewesen sei und ob er es mir nicht erklären könne, beantwortete er mit mit einem wissenden Grinsen: „Beim Dragerbutt im Ömnefaz. Als Jünger.“

Mehr war nicht zu holen. Man wisse oder man wisse nicht, ließ er wissen und mich nach einiger Zeit stehen. Und beim Dragerbutt wisse man von allem mehr. Im Ömnefaz. Bevor er sich vom Ortsrand wieder abwandte und dem Wald zustrebte, hatte ich noch versucht, Kenntnis darüber zu erlangen, ob er und die anderen beim Dragerbutt im Ömnefaz eines Tages kämen und Klarheit brächten. Ich erlangte aber nur Kenntnis darüber, dass ich eben nicht wisse, wie man klar erkenne. Im Ömnefaz beim Dragerbutt sei das anders. Man habe keine Bringschuld und man warte und dann warte man man nicht mehr.

Beim Dragerbutt im Ömnefaz.

„Nur Spinner da draußen“, schnaubte mein Großvater am Abend am offenen Feuer.
Und ich wollte warten, beim Dragerbutt im Ömnefaz.

Das ganze verkehrte Wesen

Das ganze verkehrte Wesen

 

Ein weiterer warmer Novembertag in diesem zu kalt geratenen Frühling. Menschenleere Straßen in meinem Wohnviertel, ein trostloses Kinderfest, das in der Planung sicherlich Sonnenschein verdient hatte und vergessene Gefühle, die sich neben der kriechenden Kälte bemerkbar machen wollen. Sie wählen den ihnen in langen Jahren der Sozialisation und Selbstdisziplinierung aufgezwungenen Weg und mein Verstand beginnt mir Streiche zu spielen. O Einsamkeit, du oft besungene! Egal wie oft ich versuche diese neuerliche poetische Regung, deren Sackgasse mir sogleich offenbar wird, zu unterdrücken: O Einsamkeit, du oft besungene!

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Warum ich keine Gedichte mehr schreibe oder: Die Langeweile der Möglichkeit

Warum ich keine Gedichte mehr schreibe oder: Die Langeweile der Möglichkeit
 

Als hoffnungsfroher junger Mann, der ich in den Augen mancher (alternde Gesellschaft!) vielleicht sogar noch sein mag, schrieb ich eine ganz ansehnliche Zahl von Gedichten. Ich möchte behaupten, dass diese auch von einer Qualität waren, die Liebhaber zu schätzen gewusst hätten. Diese Liebhaber habe ich mit meinen Gedichten jedoch nie erreicht, mich darum auch nicht sonderlich bemüht, wie ich gestehen muss – war ich selbst mir doch meistens Publikum genug. Warum ich letztlich aufgehört habe, Gedichte zu schreiben, ist keine einfache Frage. Es gibt nämlich keine klare Antwort darauf, wissen Sie? Es gibt da nur ein diffuses Sammelsurium an Scheinbegründungen und einen Kern, an dem wir alle tagtäglich nicht vorbei können. Um diesen Kern geht es mir.

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Entrückt

Entrückt

 

Ein Gefühl von drückendem Sommertag in mir, wie ich so lächelnd in die Sonne blinzle und die zerrenden, zehrenden Stimmen in meinem Kopf verstummt finde. Dabei haben wir es unter Null und der Schnee liegt kurz vor Beginn des Frühlings höher als in den letzten Wintern und hier, im Bus, wird der Lärm des Dieselmotors durch nichts gedämpft.

 

Ich und einige Kinder beobachten gebannt einen Jungen mit stahlblauen Augen und dem Kinn eines gestandenen Mannes, wie er – von seiner sichtlich gelangweilten Freundin aus halb geschlossenen Augen bewacht – Rubiks Würfel bearbeitet und ihn tatsächlich innerhalb der drei Haltestellen, bevor ich aussteigen muss, fertig stellt: Je Seite genau eine Farbe, wohlgeordnet.

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