am heimischen Herde [2005]

schon einmal
gesehen?
ich war Wanderer,
wollte Gaia treffen,
nannte mich Vogel
und konnte dennoch
nicht fliegen.
kein Daidalos,
noch weniger jedoch
ein Ikaros, schwor ich.
ein See am Fuße
unendlicher Berge
öffnete Augen,
gebar die Vernunft.

Minotauros-Variationen

Leben des Minotauros
Alle neun Jahre als Speisung die Kinder Athens zu erhalten –
Zorn auf die fütternden Monster als täglicher Dank.

Minotauros
Hat eigentlich
schon einmal wer
die Frage gestellt,
wieso
ein Mann mit Stierkopf
unbedingt Menschenfleisch essen musste?

Io, Sprache!

Es ist kein Zufall, werter Freund,
wenn Wörter sich im Klange
gleichen. Vielmehr ists die List
der Sprache, um im Sange

unser Leben mit Gewalt
zu steuern. Um ein Beispiel
dir zu liefern, denk an Zeus
und seine Io, wie viel

Leid der Armen widerfuhr.
Am Anfang war die Liebe
Heras und des Zeus.
Dazu traten Triebe.

Die Geschichte ist bekannt?
Vorwärts dann im Laufschritt:
Als Argos brav die Kuh bewacht,
hat Hermes seinen Auftritt.

Und so ergibt sich – eins, zwei, drei -,
bei Trieben und der Liebe
ist ein Weitres selten fern
und dieses sind die Hiebe,

mit denen jetzt in unserm Fall
der Hermes Argos’ Haupte
von seinem Rumpfe listig trennt,
weshalb ich behaupte:

Die Sprache hat das so gewollt,
damit man eifrig spreche,
der Sprache wird Tribut gezollt,
wenn ich Reime breche,

die Sprache lässt mir keine Chance,
wie ich mich auch verrenke:
schweige ich, so bleibt sie doch,
solange ich noch denke.

gestadelos

der
Endlichkeit mit
geschnürtem Bündel
entsagen, der Weite
sich geben und
treiben und Namen
erfinden und schweifen und streben
und leben.

und zu spät erkennen,
dass mit dem letzten Parnassos
auch die Freiheit verging.

Sie selbst aber sind sich die größte Plage.

Sie, ja Sie, ich höre Ihr
o tempora o mores
richtig, richtig, ganz genau,
ich stimme zu: o mores!

Die Zeit, in der wir leben, ist
tatsächlich sittlich roh.
Das Können, das man nutzen könnt,
bleibt ungenutzt und so

verändert nichts sich niemals hier –
was, wie? Der Andre sei
der Freiheit Feind und Grund drum der
Misere? Sollt ich frei

mich äußern dürfen, meint ich ehr,
die größre Plage sei
das Ich, das freudlich an mir zerrt
und zieht und niemals frei

mich in der Welt belassen will.
Wen wundert da, wenn auch
mein Handeln zwanghaft ist und sich
stets sehnt nach einem Rausch.

Was sagen Sagen des klassischen Altertums?

Also, es verhält sich folgendermaßen. Ich habe mir etwas überlegt, denn etwas musste sich hier endlich ändern. Das, was ich mir überlegt habe, heißt “Was sagen Sagen des klassischen Altertums?”. Der Name ist ein Schnellschuss. Aber so wird es laufen: Ich nehme mir in der nächsten Zeit (zunächst möglichst täglich, nach zwei Wochen in einer noch zu definierenden Regelmäßigkeit) Gustav Schwabs “Sagen des klassischen Altertums” zur Hand, lese darin und verlasse den Schreibtisch nicht, bis nicht ein Gedicht oder etwas Ähnliches dabei entstanden ist. Wer mitlesen will und sich von seinem Regal im Stich gelassen fühlt, hat hier dazu die Möglichkeit.

Nun mag der Name dieses Vorhabens suggerieren, dass hier ein sehr analytisches, die Sagen möglichst treffend auslegendes Ziel verfolgt werde. Dem ist nicht so. Das soll hier keine akademische Arbeit werden. Der Name sollte vielleicht verändert werden. Besser noch vielleicht aber nicht. Denn es soll ja etwas freigelegt werden, was in diesen Sagen steckt, was sie sagen, wem und aus welcher Perspektive auch immer im Einzelfall. Wir werden sehen. Das wird eine Reise, ohne zu wissen, wo – vom Ende des Buches abgesehen – das Ziel ist, aber mit der Gewissheit, dass es weitergehen muss und soll, weil der Wille vorhanden ist. Es ist sicherlich bis zu einem gewissen Grad ein Übungsszenario, hoffentlich aber auch mehr als das, wenn dieser Griff in Pandoras Büchse gestattet ist, ohne dass man mir auf die Finger klopft.

Und damit sind wir ja im Geschehen und der Größe gaukelnden Worte für heute genug. Ab morgen sollen Taten folgen und ein erster Beleg meiner Tätigkeit in Bildform jetzt als Versprechen das Schlusswort haben …

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Zu Besuch

Zu Besuch

Im Winkel, auf dem Bord, dem Ledersofa
zur Seite sich gesellend, arrangiert
im schwarzen Rahmen nun auch sein Portrait
sich mit den andern. Dort, gleich neben Opa.

Und aus der Stube an den Esstisch. Schnittlauch
auf Bergen von Kartoffeln. Ich mocht es
ja immer schon, wie du ja sicher weißt.

Und klar kann jeder Salz ham, wenner noch brauch.

Den Sekt in meinem Glase starr ich warm,
ich frage Nichten, wie die Ferien warn,
hör kaum, wohin mein Neffe wieder flog.

Beim Gong der Stehuhr vorm Dessert verwundert,
wie das nur möglich ist; dass über hundert
Mal nicht er an den Gewichten zog.