Sezieren mit Dr. Timm

Mir ist es nicht gelungen, das Gefühl der Peinlichkeit, was denken andere über mich, abzulegen. Es begleitet mich bis heute. Wahrscheinlich ist es die Voraussetzung für ein rücksichtsvolles Umgehen miteinander.
Uwe Timm: Der Freund und der Fremde. In: Ders.: Am Beispiel eines Lebens. Autobiographische Schriften. Köln 2010, S. 181-345, hier: S. 329.

Und falls wir uns dennoch überwinden, aufzustehen und einen Weg zu gehen, ohne uns zuvor umzusehen, gilt vielleicht:

Der Revolutionär und der psychisch Kranke. Das sind zwei Möglichkeiten, die sich gegen Macht richten. Der eine, der Revolutionär, will durch Gewalt die gesellschaftlichen Machtverhältnisse verändern, der andere stellt allein durch sein Anderssein – und so verstand er [Kipphardt] die psychische Krankheit – die Macht des gesellschaftlichen Konsens, die Normalität der Gesellschaft in Frage.
Uwe Timm: Vogel, friss die Feige nicht. Römische Aufzeichnungen. (Die Utopie der Sprache. Versuch über Kipphardt.) In: Ders.: Am Beispiel eines Lebens. Autobiographische Schriften. Köln 2010, S. 347-509, hier: S. 494-495.

Was für Alternativen. Also vielleicht doch zuhause bleiben, aus dem Fenster schauen, den Sperrmüll des Nachbarn erblicken und daran denken, dass auch die Dinge Tränen haben (vgl. Uwe Timm: Der Freund und der Fremde, S. 257) und sich in dieser Stimmung leichter Melancholie in die Disziplinargesellschaft ergeben? Aber ohne, dass man “Schicksal” sagt?

Uwe Timms “Heißer Sommer”

So, hier nun meine noch nicht berühmte Art, mich mit einem literarischen Werk auseinanderzusetzen, indem ich euch mindestens ein Zitat, das mir aus Gründen spontaner Assoziationen besonders gefallen hat, vor die Füße werfe.

Aus der Kategorie “Sprache und andere Hürden”:

Da brüllte er sie an: Du hängst mir zum Hals raus, ellenlang.

Sie hatte ihn angestarrt, Verblüffung in den Augen, dann Angst.

Wie war er nur auf dieses Wort gekommen, ellenlang.

Uwe Timm: Heißer Sommer, Köln 2008, S. 13.

Eine Beobachtung zu Prozessen innerhalb von Gruppen egal welcher Natur oder Zielsetzung sie ursprünglich mal verbunden waren:

Das sind doch ganz brutale persönliche Machtfragen. Die basteln da an ihrem Selbstwertgefühl. Das stabilisieren die, indem sie die anderen aufs Kreuz zu legen versuchen. Und das rationalisieren die dann mit Marxismus.

Ebd., S. 243.

Ja, das war’s. Nächstes Mal gelingt es mir dann vielleicht auch wieder mehr, Menschen auf das dann betroffene Buch neugierig zu machen. Ich lese jetzt Bulgakows Der Meister und Margarita. Faust-Anspielungen, ich komme!