Frühling,

noch bevor die ersten Dichter
dich in ihren Liedern preisen,
brechen deine Bohrkopfblüten
in die triste, graue Welt.

Diese kurze, süße Spanne
spielst du deine warmen Weisen
nur für dich und deines Gleichen,
bis die Welt dich überfällt.

Bloß erahn’ ich noch den Zauber,
den Beginnen dir enthielt.

Tanz des Lebens

Wie man es dreht und wendet,
es dreht und wendet dich.
Ein Reigen, der nicht endet,
entsteht und foltert mich
mit jeder neuen Drehung,
mit jedem neuen Paar,
das kurz vor der Verwehung
entsteht und bald schon war.

Wenn ich drum einfach ginge
und niemals wiederkehrtʼ?
Ich träf stets diese Schlinge.
Der Ausweg bleibt verwehrt
aus diesem wilden Tanze,
den man zunächst begehrt,
der später dann aufs Ganze
der Menschen Glück verzehrt.

am heimischen Herde [2005]

schon einmal
gesehen?
ich war Wanderer,
wollte Gaia treffen,
nannte mich Vogel
und konnte dennoch
nicht fliegen.
kein Daidalos,
noch weniger jedoch
ein Ikaros, schwor ich.
ein See am Fuße
unendlicher Berge
öffnete Augen,
gebar die Vernunft.

Minotauros-Variationen

Leben des Minotauros
Alle neun Jahre als Speisung die Kinder Athens zu erhalten –
Zorn auf die fütternden Monster als täglicher Dank.

Minotauros
Hat eigentlich
schon einmal wer
die Frage gestellt,
wieso
ein Mann mit Stierkopf
unbedingt Menschenfleisch essen musste?

Schwere-Reflexion

der Gewichtsverlust in
dem Moment, in
dem du als Un-
gerechter gegen
ein Anderes auftrittst, das
in dem Moment
ein Teil deiner selbst
wird, obwohl du zu
diesem Selbst gerade doch
den Kontakt verlierst in
der Frage, wer bin ich,
will ich, kann ich
sein, während ich
gemacht werde und
mich einem Ende hin zudenke.

Zu Besuch

Zu Besuch

Im Winkel, auf dem Bord, dem Ledersofa
zur Seite sich gesellend, arrangiert
im schwarzen Rahmen nun auch sein Portrait
sich mit den andern. Dort, gleich neben Opa.

Und aus der Stube an den Esstisch. Schnittlauch
auf Bergen von Kartoffeln. Ich mocht es
ja immer schon, wie du ja sicher weißt.

Und klar kann jeder Salz ham, wenner noch brauch.

Den Sekt in meinem Glase starr ich warm,
ich frage Nichten, wie die Ferien warn,
hör kaum, wohin mein Neffe wieder flog.

Beim Gong der Stehuhr vorm Dessert verwundert,
wie das nur möglich ist; dass über hundert
Mal nicht er an den Gewichten zog.

Theorie der politischen Weltgeschichte nach dem Ende der Bibliotheksöffnungszeiten

Theorie der politischen Weltgeschichte nach dem Ende der Bibliotheksöffnungszeiten

an der Hauswand grenzt
das Licht an Schatten,
will sich jene klare
Grenze schaffen,

die die Distinktion
erlaubt. und wehte
da kein Wind und keine
Fahne drehte

sich in diesem, wäre
dem Betrachter
Klarheit wohl gegeben.
doch so wacht er

über einen wilden
Wandel, wissen
wollend, worum es sich
handelt; messen

wollend, was sich ändert,
wenn die Zeit verstreicht,
Sonne Mond und Sternen weicht,
für manches keine sprache reicht –